LUST AM LEBEN! Mein Leben als Bestatten
Vera Bartholomay hat mich letztes Jahr für Ihr Herzensprojekt interviewt. Herausgekommen ist ein Buch über Menschen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Ausschlaggebend für Vera war, dass die Menschen Ihren Beruf als Berufung ansehen und diesen mit Leidenschaft ausüben. Herausgekommen ist ein Ratgeber für Menschen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Wer das Buch erwerben möchte, hier der link.
Das gesamte Interview hier zum Nachlesen.
Ein tiefes Einlassen auf das Leben und die Endlichkeit.
Auf das Unfassbare und Unbegreifliche.
Im Leben, wie im Sterben und im Tod.
Mit diesen Worten lernen wir Susanne Eckl auf ihrer Website kennen. Wer ist diese außergewöhnliche Bestatterin?
Du hast ein Bestattungsunternehmen in Berlin – wie bist du zu diesem besonderen Beruf gekommen?
Ich bin ursprünglich Floristin gewesen. Dann ist die Mutter einer Freundin gestorben und ich wurde gebeten, den Trauerschmuck zu machen. Ich sagte gleich, dass ich für ihre Mutter nicht die eher langweilige Grabfloristik machen wolle, denn sie war eine sehr kreative und musische Frau. Meine Freundin hat mir dann freie Hand gegeben. Und daraufhin hat der beauftragte Bestatter mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, für seine Firma die Blumengestaltung zu übernehmen. Ich war erst gar nicht so sehr interessiert, aber er ließ nicht locker und hat mir erst mal erzählt, was ein alternativer Bestatter überhaupt macht – was da alles dazugehört. Und dass es oft darum geht, mit den Angehörigen zusammen ganz individuelle Wege zu suchen, wie man einen Abschied gestalten kann.
Ich hab mich dann darauf eingelassen und fand es gleich sehr spannend. Manchmal habe ich mit den Enkelkindern zusammen die Blumen für einen verstorbenen Großelternteil gestaltet oder mit den Angehörigen zusammen in einem Garten die Blumen für die Feier geschnitten. Es waren immer wieder ganz berührende Erlebnisse. Nach und nach ist es immer mehr geworden und ich war irgendwann sozusagen nur noch auf dem Friedhof. Eines Tages hat eine heutige Kollegin gefragt, ob ich nicht selbst Bestatter werden möchte.
Ich war damals Mitte 30 und hatte natürlich nie in diese Richtung gedacht, habe mich aber gefreut, dass die Kollegen mir das zugetraut haben. Bis zu meiner endgültigen Entscheidung hat es aber noch ungefähr zwei Jahre gedauert. Ich habe lange überlegt, ob ich so etwas machen kann, und habe dann gemerkt, dass ich es in der Theorie nicht entscheiden kann. Ich muss praktische Erfahrungen machen. Daraufhin habe ich dann bei Kollegen Praktika gemacht – und irgendwann haben sie mir gesagt, jetzt wäre es an der Zeit, mit einem eigenen Angebot zu starten.
Auf den Beruf „Bestatter“ kommt man ja eigentlich nicht so schnell. Es ist ja eher selten, dass man eine besondere Affinität zu diesem Beruf hat. Das ergibt sich eher zufällig. Obwohl es gar nicht so selten vorkommt, dass Menschen aus anderen Berufen in den Bestatterberuf umsteigen, weil sie zum Beispiel durch persönliche Trauererfahrungen merken, dass das klassische Bestattungsangebot für sie nicht geht.
Diese Entscheidung war nicht schwer wegen der Begegnung und des Umgangs mit Verstorbenen, denn da hatte ich ja schon mittlerweile viele gesehen. Es ging eher darum, ob ich es aushalten würde, mich ständig mit dem Tod zu beschäftigen. Auch wenn man nicht direkt betroffen ist. Denn es geht ja darum, nicht nur zu wissen, dass wir alle sterben werden, sondern es auch zu spüren.
Auf der anderen Seite ging es mir auch darum, dass die Beschäftigung mit dem Tod nicht immer nur schwer sein muss. Klar ist es immer auch sehr schwer, wenn man betroffen ist. Aber sich mit der Endlichkeit zu beschäftigen, ist ein Riesengeschenk fürs Leben.
Menschen, die in Hospizen arbeiten, berichten oft, dass diese Arbeit glücklich macht. Dass es das Leben bereichert.
Bei den Hospizmitarbeitern ist es sicherlich noch ein wenig anders, denn sie beschäftigen sich ja mit der allerletzten Zeit und mit dem Abschiednehmen, bevor ein Mensch gestorben ist. Wenn die Menschen zu mir kommen, ist ein Mensch meist schon gestorben und ich habe dann mit der außergewöhnlichen Situation, in der die Angehörigen sind, zu tun. Das ist ein wirklich großes Geschenk, weil man etwas zutiefst Sinnvolles tun darf. Es ist eine Erfüllung. Man darf in solchen Zeiten den Menschen so schnell ganz nah sein. Das ist in kaum einem anderen Bereich so schnell möglich. Sich wirklich einlassen zu dürfen auf die tiefe menschliche Existenz.
In solchen Phasen geht es nicht länger um „schneller, höher, weiter“, sondern wirklich darum, was jetzt gerade ist. Und sich dafür Zeit zu nehmen.
Eigentlich geht es um die Lebensessenz, auch wenn es um den Tod geht?
Ja, und auch um die Möglichkeit, diese Zeit als wertvoll zu empfinden. Auch wenn es natürlich um Schmerz, Trauer und Sprachlosigkeit geht. Das liegt mir sehr am Herzen. Ja, das ist sozusagen mein Herzstück. Das Positive in die Schwere hineinzulenken.
Dieser Beruf befindet sich in einer großen Veränderung. Nicht nur hier in Berlin, wo wir natürlich auch eine sehr besondere Gesellschaft mit vielen individuellen Wünschen haben. Oft geht es um Menschen, die ganz jung sterben und wo das ganz Traditionelle einfach nicht passt, wo weder der Eichensarg passt, noch die klassischen Zeremonien. Viele sind hier auch nicht mehr kirchlich verhaftet, sodass man neue Wege finden darf, kann und muss. Es ist immer wieder hoch spannend, was in den Gesprächen mit den Angehörigen entsteht – wie wir gemeinsam Möglichkeiten für neue Rituale entwickeln können. Es geht immer wieder darum, genau hinzugucken, was in diesem Fall stimmt und was sich entwickeln kann aus dem, was mir erzählt wird.
Interessanterweise ist das Durchschnittsalter der Menschen, die ich bestatten darf, Mitte vierzig. Das heißt, es ist meine eigene Altersgruppe. Natürlich gibt es immer wieder 80- oder 85-jährige, wo eine Zeremonie mit einem Pfarrer immer noch stimmt, aber für jemand mit 35 stimmt es oft einfach nicht. Weder für den Freundeskreis, noch für den Verstorbenen. Ich habe auch viele Eltern, die ihre wirklich kleinen Kinder beerdigen müssen. Und dann braucht man oft gar nicht den klassischen Trauerredner, denn da ist oft eine große Sprachlosigkeit, die in einer anderen Form Ausdruck finden muss. Dann gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, dass die Familienmitglieder Briefe schreiben, die ich dann vorlese – oder etwas ganz anderes.
Natürlich gibt es auch immer wieder Pfarrer bei den Beisetzungen, wenn es in dem Fall stimmig ist, aber die Tendenz geht deutlich dorthin, dass die Angehörigen entweder selber sprechen oder dass ich etwas für sie spreche. Oder es wird ein professioneller Redner engagiert.
Das Spannende ist ja auch gerade, die Individualität des verstorbenen Menschen herauszufiltern, damit die Menschen bei der Trauerfeier wirklich das Gefühl haben, der verstorbene Mensch ist noch einmal im Mittelpunkt – vielleicht sogar ein Stück weit auch da.
Wir versuchen dann rauszufinden, mit welchen Erinnerungen oder symbolischen Gegenständen die Menschen den Verstorbenen verbinden. Vielleicht war es das besondere Geschirr, das bei der Oma sonntags immer auf dem Tisch kam – vielleicht können wir das dann jetzt hier in den Raum stellen? Oder es gab ein besonderes Hobby.
Ich hab vor kurzem einen Trauerfall eines jungen Mannes begleitet, bei der alle so sprachlos waren, und dann gab es in der Kapelle warmen Kakao für alle Gäste, denn das war das Lieblingsgetränk gewesen. Und alle wussten so ganz genau, das steht für diesen Menschen -und das war ein Stück weit heilsam.
Was wir genau machen, entwickelt sich einfach. Ich hab da keine fertigen Angebote. Im ersten Gespräch entwickeln wir erst mal einen ganz groben Rahmen. Denn wir brauchen erst ganz praktische Fakten, z.B. welche Art von Bestattung soll hier stattfinden, eine Erd- oder Feuerbestattung. Dann schaue ich in die kleineren Details und frage mich auch, was die Angehörigen jetzt gerade brauchen. Gibt es unterschiedliche Bedürfnisse, die sie teilweise nicht äußern können, die man aber mit der Zeit erahnt? Möchte sich jemand zum Beispiel noch einmal verabschieden? Oder möchten sie dabei sein, wenn wir den Menschen waschen oder anziehen? Das entwickelt sich auch erst mit der Zeit. Vielleicht wollte zuerst niemand, aber wenn der Termin näher rückt für das Ankleiden, möchte dann doch noch jemand mitkommen oder mithelfen. Wichtig ist es dann auch, dass sie Vertrauen zu mir haben und wissen, ich kann mit ihren Gefühlen umgehen.
Und später schaut man mehr ins Detail – gibt es ein Ritual, das die Trauergemeinde miteinander verbindet?
Du sprichst davon, manche alte Riten wieder aufleben zu lassen oder neue zu entwickeln. Mir persönlich fehlt manchmal die klassische Totenwache. Dass man als Gemeinschaft nach einem Todesfall über längere Zeit zusammen sein kann und miteinander Erinnerungen teilt. Oder die Möglichkeit, sich gemeinsam von dem Verstorbenen zu verabschieden. Vielleicht sogar, dass dieser weiterhin im Haus ist und dass man über längere Zeit Abschied nehmen kann. Gemeinsam lachen und weinen. So etwas findet ja in der Regel gar nicht statt.
Das liegt aber auch teilweise daran, dass die Menschen hauptsächlich im Krankenhaus, Hospiz oder Pflegeheim sterben und es ist gar nicht so einfach einen verstorbenen Menschen aus der Pathologie eines Krankenhauses noch einmal nach Hause zu holen. Da gibt es ganz strenge Bestimmungen. Es ist möglich, aber nicht einfach.
In den Hospizen kann man sich in Ruhe von Verstorbenen verabschieden. Aber in den Krankenhäusern ist das nicht vorgesehen.
Wenn jemand aber tatsächlich zu Hause stirbt und es war vielleicht ein plötzlicher Tod und nicht ein erwarteter Verlauf, kommt es tatsächlich vor, dass ich gerufen werde und das Gefühl habe, es ist noch nicht richtig, dass ich den Verstorbenen sofort hier weghole.
Grundsätzlich versuche ich in solchen Situationen, erst mal alles in Ruhe auf mich wirken zu lassen und den Raum zu einem guten Ort zu machen. Das kann bedeuten, dass ich eine Kerze anzünde oder irgendetwas im Raum verändere, damit es ein anderes Bild wird.
Für die Angehörigen ist diese Situation erst mal kaum auszuhalten, aber wenn ich etwas gerichtet habe und dann sage, dass ich jetzt noch einmal wegfahre und in einigen Stunden wiederkomme, oder dass die Angehörigen mich rufen sollen, wenn sie mich wieder brauchen, dann hat sich danach meist etwas verändert. Und später ist es meist in Ordnung, dass wir jetzt die Überführung machen. Man darf seinen geliebten Menschen bis zu 36 Stunden zu Hause behalten. Es kann dann vorkommen, dass ich erst nach 12 Stunden gerufen werde, weil es doch gut war, dass der Verstorbene noch eine Weile da war.
Die Angehörigen sind ja erst mal im „Ausnahmezustand“ und konzentrieren sich oft erst auf alles, was jetzt getan und organisiert werden muss. Da fehlt oft die Gelassenheit nachzuspüren, was hier eigentlich gerade passiert ist, oder dass es vielleicht gut wäre, sich erst mal in Ruhe ans Bett zu setzen.
Vielleicht hast du auch eine ganz wichtige Funktion als „Erinnerin“ für uns andere, dass es im Leben um so viel mehr als um unsere Alltagsthemen geht?
In meinem Beruf wird diese Fähigkeit wirklich gefragt und geschätzt, wenn auch oft erst im Nachhinein. Aber die Menschen sagen durchaus, dass sie genau das als wohltuend empfunden haben.
Ich hoffe auch, dass manche Menschen tatsächlich für ihr weiteres Leben etwas mitnehmen können aus dieser wertvollen Zeit zwischen Tod und Trauerfeier.
Eigentlich ist das, was du machst, auch ein Stück Heilung?
Ich bin da sogar ziemlich sicher. Ich bin in einem Netzwerk von Kollegen, die alle eine sehr menschenbezogene Arbeitsweise haben, und wir erleben interessanterweise, dass kaum jemand von uns Angehörige zu einem Trauerbegleiter schicken müssen. Das zeigt mir, dass wir in der gemeinsamen Phase auch einige von den Trauerprozessen gemeinsam gegangen sind.
Was stärkt und hält dich in den schwierigeren Zeiten?
Ich glaube, die Fürsorge für Mitmenschen und die Fürsorge für die Verstorbenen.
Meinst du die Aufgabe oder die Berufung, die gerade darin liegt?
Ja, absolut beides.
Was würdest du Menschen raten, die heute vor einem neuen beruflichen Weg stehen?
Das wirklich Entscheidende ist eine Leidenschaft für das, was man tut. Dann kommen trotzdem schwierige Momente, aber wenn man für etwas brennt – wenn mein persönliches Glück drin ist – dann bleibe ich auch dran.
Wie finden deine Kunden zu dir?
Fast immer über das Weitererzählen von anderen, die mit mir gute Erfahrung gemacht haben.
Über meine Internetseite kommen nicht so viele. Aber sie ist dennoch wichtig. Ich blogge dort unter anderem nicht nur, weil ich einige Geschichten erzählen möchte, die mir wichtig sind, sondern weil es so viel gibt, was die Menschen wissen sollten. Auch darüber, welche Möglichkeiten man in der Trauergestaltung hat. Vielleicht hat man sich etwas anders gewünscht und immer gedacht, es wäre nicht machbar. Denn man darf selbst viel mehr organisieren, als man vielleicht denkt – und auch mehr dabei sein.
Ich erlebe ganz häufig, dass die Menschen ganz erleichtert sind, wenn sie mich rufen und dann sehen, dass nicht das klassische Erscheinungsbild einer Bestatterin vor der Tür steht, sondern jemand, mit dem man sich vielleicht auch abends so mal treffen würde.
Es kommt wirklich ein Mensch.
Wer mehr über die inspirierende Arbeit von Vera Bartholomay erfahren möchte, hier der link zu Ihrer Website.